04.03.2022 | Bilder von Plastikverschmutzung in den Ozeanen und an den Stränden sind inzwischen alltäglich, und das Problem wird sich wahrscheinlich noch verschärfen. Letzte Woche wurde im ersten Global Plastics Outlook der OECD ein dramatischer Anstieg des in die Gewässer gelangenden Plastikmülls festgestellt. Dieser Bericht erschien nur einen Monat, nachdem der World Wide Fund For Nature (WWF) eine Studie veröffentlicht hatte, die für die nächsten Jahrzehnte eine Verdoppelung des Mikroplastiks in den Ozeanen prognostiziert.
Zwar gibt es vielversprechende Innovationen, die Plastik aus dem Meer extrahieren oder in Flüssen auffangen, doch werden diese Projekte die Plastikverschmutzung in den Gewässern der Welt kaum eindämmen können. Selbst nach den optimistischsten Prognosen werden diese Technologien nur 5-10 % des gesamten Plastiks in den Ozeanen sammeln können.
Mehr als 1.000 Organisationen, darunter Unternehmen und Regierungen, haben sich einer Aktionsplattform für eine Plastik -Kreislaufwirtschaft angeschlossen. Aber auch diese Art freiwilliger Maßnahmen reicht nicht aus.
Das Problem erfordert eine neue Form der globalen Governance, um den gesamten Produktions- und Verbrauchszyklus von Kunststoffen auf fossiler Basis zu ändern. Die fünfte Tagung der Umweltversammlung der Vereinten Nationen (UNEA-5) bietet ein einzigartiges Forum, um das Problem des Plastikmülls durch rechtsverbindliche Mechanismen anzugehen.
Die internationale Gemeinschaft hat bereits bewiesen, dass sie in der Lage ist, ernste Umweltprobleme zu bewältigen. Mit dem bahnbrechenden Montrealer Protokoll von 1987 über Stoffe, die zum Abbau der Ozonschicht führen, konnte die Nutzung von Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW) in nur wenigen Jahren schrittweise gestoppt werden. Ein internationales Abkommen über die Plastikverschmutzung erfordert einen ähnlichen Wandel in den Prioritäten der Gesellschaft – basierend auf ‚Ocean Literacy‘ und einer neuen Vision für die ‚Blue Economy‘.
Ein wirksames internationales Abkommen zum Stopp der Plastikverschmutzung in den Meeren sollte den gesamten Lebenszyklus relevanter Plastikprodukte berücksichtigen – von der Herstellung bis zur Entsorgung – und es muss Regierungen, den privaten Sektor und die Öffentlichkeit einbeziehen. Ein neues Abkommen sollte insbesondere sechs Punkte behandeln.
Erstens muss die Verwendung von Plastik an allen Stellen der Lieferkette reduziert werden. Lebensmittelverpackungen, insbesondere Essensverpackungen, sind eine Hauptquelle der Meeresverschmutzung. Hier sind politische Unterstützung und Finanzierung für die Entwicklung neuartiger biologisch abbaubarer Lebensmittelbehälter gefragt sowie verstärkte Bemühungen zur Förderung wiederverwendbarer Verpackungen. Einwegnutzung sollte eingestellt werden.
Zweitens muss ein neuer Vertrag das Wachstum der ‚Blue Economy‘ fördern. Die Regierungen sollten Programme zur Förderung von nachhaltigem, meeresfreundlichem Tourismus, Fischerei, erneuerbaren Meeresenergien und anderen Unternehmen auflegen. Die politischen Entscheidungsträger müssen auch in die Infrastruktur der städtischen Abfall- und Abwasserentsorgung investieren, die Möglichkeiten der Ressourcenrückgewinnung umfasst.
Drittens müssen die Auswirkungen der Plastikverschmutzung auf die Meeresumwelt regelmäßig bewertet und verbessert werden. Das bevorstehende internationale Korallenriff-Symposium ICRS 2022 in Bremen bietet die Gelegenheit zu untersuchen, wie sich Mikro- und Nanoplastik auf diese faszinierenden und wertvollen Ökosysteme auswirkt. Die Forschung zeigt zwar, dass Korallen eine gewisse Widerstandsfähigkeit gegenüber Plastikverschmutzung haben, aber sie sind auch unzähligen anderen Bedrohungen ausgesetzt, darunter Hitzewellen im Meer, Veränderungen des Sauerstoffgehalts und ultraviolette Strahlung.
Um die langfristigen Folgen für Korallen und andere Meeresbewohner zu verstehen, sind systematischere und regelmäßigere Bewertungen erforderlich. Die Erfahrung mit der Steuerung des Klimawandels zeigt, dass eine flexiblere Struktur als der Weltklimarat IPCC erforderlich ist, um die Reaktionsstrategien zu verbessern. Eine Möglichkeit sind regelmäßige Bewertungen zu Kernindikatoren der Meeresqualität und -nutzung, die den Stand der Forschung und Entwicklung zusammenfassen und mit den relevanten Parteien zusammenarbeiten.
Dies führt zum vierten Punkt, den ein neuer Vertrag zur Plastikverschmutzung in den Meeren adressieren muss: eine Vereinbarung über rechtliche Grundsätze für eine nachhaltige Meerespolitik. Da die Plastikverschmutzung vielfältige Ursachen hat, ist es unerlässlich, eine angemessene Rechenschaftspflicht festzulegen. Verpackungshersteller, Lebensmitteleinzelhändler, Lieferplattformen, Schifffahrtsunternehmen, Tourismusunternehmen und andere müssen sich ihrer Verantwortlichkeit stellen. Die Unternehmen legen bereits einschlägige Daten über Emissionen in Übereinstimmung mit den Standards für die Umwelt-, Sozial- und Governance-Berichterstattung offen. Vergleichbare Zahlen über Kunststoffabfälle könnten in diese Rahmen aufgenommen werden.
Fünftens sind Verbesserungen in der Abfallwirtschaft und in den Systemen der Kreislaufwirtschaft erforderlich, insbesondere in Schlüsselländern wie Indonesien und China. Zu den politischen Optionen gehören eine erweiterte Herstellerverantwortung, Steuern für Mülldeponierung, Pfandrückerstattung und eine Preisgestaltung für die Wieder-Nutzung (Pay as you throw). Ein Vertrag sollte auch Küstengemeinden bei ihren Bemühungen um die Bewirtschaftung von Kunststoffabfällen unterstützen. Neue politische Maßnahmen könnten Pilotfinanzierungsprogramme für innovative lokale Unternehmen und Kunststoffverwertungsoptionen, einschließlich Verbrennungsanlagen mit Energierückgewinnung, umfassen.
Schließlich sollten über den derzeitigen Geltungsbereich des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (UNCLOS) hinaus Rechtsgrundsätze entwickelt werden, die das Meer als Teil des gemeinsamen Erbes der Menschheit begreifen. Diese Grundsätze würden es ermöglichen, den Ozean von einer Müllhalde in eine Quelle des globalen Wohlstands zu verwandeln. Dazu müssen Regierungen und Unternehmen zusammenarbeiten, um aufgabenorientierte Strategien und Fahrpläne für einen plastikfreien Ozean zu entwickeln.
In der Zwischenzeit muss der Privatsektor eine Vorreiterrolle bei der Veränderung nicht nachhaltiger Muster der Plastikmüllproduktion übernehmen und Innovationen fördern, die Plastik ersetzen oder seine Verwendung reduzieren können. Um diese Bemühungen voranzutreiben, ist eine Sensibilisierung der Verbraucher*innen auf der Grundlage von Lerninstrumenten wie ‚Reflectories‘ erforderlich. Die Plastikverschmutzung der Meere gehört auf den Lehrplan.
Ein internationales Abkommen zur die Plastikverschmutzung der Meere, das auf ‚Ocean Literacy‘ Umstellung der Industrie und vereinbarten Rechtsgrundsätzen beruht, würde die vielfältigen Ökosystem-Leistungen des Ozeans anerkennen. Es ist ein entscheidender Schritt in Richtung eines ‚Blue New Deal‘, der Gleichheit, Demokratie und Gerechtigkeit in den Vordergrund stellt.
Raimund Bleischwitz ist wissenschaftlicher Geschäftsführer des Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung (ZMT).
Copyright: Project Syndicate / https://www.project-syndicate.org