04.04.2017 | Zahlreiche Fischarten, die sich in Form und Schwimmverhalten voneinander unterscheiden, sind entscheidend für die Widerstandsfähigkeit von Korallenriffen.
Korallenriffe sind produktive Ökosysteme, die für alle Meereslebewesen und die Menschen auf der ganzen Welt von großer Bedeutung sind. Eine wichtige Ökosystemleistung dieser biologisch vielfältigen Lebensräume besteht in der Zerstreuung von Meereswellen und dem Schutz vor Küstenerosion. Entsprechend weisen alle Riffe ein breites Spektrum an Lebensräumen auf, die entweder vor Wellen geschützt oder diesen mehr oder weniger stark ausgesetzt sind, was wiederum Einfluss auf die zahlreichen Arten von Riffbewohnern und -pflanzen hat. Dies gilt auch für herbivore Fische, die für die Aufrechterhaltung produktiver, gesunder Korallenriffe und Ökosystemleistungen unverzichtbar sind.
Dieser Aspekt der Korallenriffökologie wurde vor kurzem von Dr. Sonia Bejarano und Dr. Sebastian Ferse vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung in Bremen sowie von Jean-Baptiste Jouffray, Doktorand am Stockholmer Resilience Centre, analysiert. Ihre Arbeit, die auch Beiträge von Kollegen aus Australien, Deutschland, Oman, Großbritannien und den USA enthält, wurde kürzlich in dem Journal Functional Ecology veröffentlicht.
Die Studie wurde im östlichen Barriereriff des Palau-Archipels durchgeführt. Die Wissenschaftler untersuchten, wie Unterschiede in der Wellenexposition pflanzenfressende Fische beeinflussen und damit Auswirkungen auf die Funktion des gesamten Riffs haben.
„Flache, wellenexponierte Riffe sind für pflanzenfressende Fische der produktivste und attraktivste Ort zur Nahrungsaufnahme, der jedoch nicht für alle Fische leicht zugänglich ist", erklären die Autoren.
Die Ergebnisse zeigten, dass die Nahrungsaufnahme bestimmter Arten bei starker Wellenexposition begrenzt war, aber auch, dass sich einige Arten entweder davon nicht beeinflussen ließen oder die Häufigkeit der Nahrungsaufnahme bei starker Wellenexposition erhöhten. Pflanzenfressende Fischarten, die eine stromlinienförmige Form aufweisen, scheinen bei starkem Seegang im Vergleich zu Fischarten, die seitlich zusammengedrückt sind, Nahrung besser aufnehmen zu können.
Auswirkungen auf das Biodiversitätsmanagement
Eine gesunde Gemeinschaft pflanzenfressender Fische ist wichtig, weil sie Algen abweidet und die Widerstandsfähigkeit von Riffen auf unterschiedlichste Art und Weise erhält, z.B. durch die Schaffung von Flächen, auf denen sich neue Korallenlarven ansiedeln können.
Darüber hinaus hat das Forscherteam drei Erkenntnisse gewonnen, die über die Welt der Korallenriffe und Fische hinaus von Nutzen sind.
Erstens: Tiere, die in einem Ökosystem unterschiedliche Aufgaben übernehmen, verhalten sich auch in der Art und Weise unterschiedlich, wie sie mit Umweltbelastungen umgehen und ergänzen sich dadurch noch besser als man normalerweise denkt.
Zweitens: Tiere, die ähnliche Aufgaben in einem Ökosystem erfüllen (z.B. Weiden oder Photosynthese), können auch mit sehr feinen Unterschieden auf Umweltstress reagieren und so sicherstellen, dass die Aufgaben unter verschiedensten Umweltbedingungen erfüllt werden. Dieses Phänomen wird als „Reaktionsvielfalt“ (response diversity) bezeichnet.
„Die Aussage, dass Arten unterschiedlich sind, mag trivial klingen, aber erstaunlicherweise ist die Vorstellung weit verbreitet, dass zwei Arten mit ähnlichen Funktionen einander vollständig ersetzen können, wenn eine von ihnen verschwindet", erklärt die Hauptautorin Sonia Bejarano.
Drittens: Bei zunehmendem Umweltstress wandern einige Arten ab und andere kommen hinzu, aber dank der Reaktionsvielfalt können lebenswichtige Ökosystemfunktionen auch unter schwierigen Bedingungen aufrechterhalten werden.
Der nächste Schritt bestehe laut Autoren darin, herauszufinden, ob dies auch bei anthropogenen Umweltbelastungen zutrifft. Wie stark können menschliche Einflüsse die Widerstandsfähigkeit stören, die durch die Reaktionsvielfalt in Korallenriffen und anderen Ökosystemen gegeben ist? Können wir sie mit den uns zur Verfügung stehenden Managementinstrumenten erfolgreich schützen?
Allgemeine Wahrnehmungen hinterfragen
Durch die Ergebnisse dieser Studie wird die Art und Weise hinterfragt, in der biologische Vielfalt oftmals wahrgenommen wird und bestätigt, dass das Vorhandensein von Arten, insbesondere unter rauen Umweltbedingungen, nicht unbedingt bedeutet, dass sie vollständig funktionsfähig sind, erklärt Jean-Baptiste Jouffray.
Somit weist die Studie auf komplexe Probleme in Bezug auf das Management und den Schutz herbivorer Fische in Korallenriffen auf der ganzen Welt hin. Ohne die neuen Erkenntnisse aus dieser Studie könnte fälschlicherweise angenommen werden, dass Fischgemeinschaften, die aus vielen verschiedenen Arten derselben großen Funktionsgruppe bestehen, gegen Überfischung resistent sind.
Da Korallenriffe immer stärker durch weltweite, anthropogene Stressfaktoren wie Klimawandel und Ozeanversauerung belastet werden, ist diese Art von Wissen wichtiger als je zuvor, um lokale und regionale Managementmaßnahmen zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit von Riffen zu unterstützen.
Zusammenfassung:
- Algen fressende Fische, die für gesunde Korallenriffe unverzichtbar sind, werden abhängig von ihrer Körperform und ihrem Schwimmverhalten auf unterschiedliche Weise durch die Wellenexposition beeinflusst.
Das bedeutet, dass eine Fischart bei Verlust nicht einfach durch eine andere ersetzt werden kann, wenn diese neue Fischart anders auf Wellen reagiert.
- Diese Erkenntnisse wirken sich auch auf andere Ökosysteme in Bezug auf die Erhaltung und das Management der biologischen Vielfalt aus.
Text: Fredrik Moberg, Stockholm Resilience Centre
Methoden:
Die Studie wurde im Februar und März 2012 mit Schwerpunkt auf flachen Riffen an der seewärtigen Seite des östlichen Barriereriffs des Palau-Archipels durchgeführt. Das Schwimmverhalten von 37 Fischarten wurde auf der Grundlage von zehn morphologischen Merkmalen in Bezug auf Schwimmverhalten, Schnelligkeit und Beweglichkeit quantitativ bewertet. Die Häufigkeit der Futteraufnahme wurde mit fest installierten Videokameras an Stellen der Riffe aufgezeichnet, die entweder geschützt lagen oder den Wellen mittelschwer bzw. schwer ausgesetzt waren.
Veröffentlichung:
Bejarano, S., Jouffray, J.-B., Chollett, I., Allen, R., Roff, G., Marshell, A., Steneck, R., Ferse, S. C. A. and Mumby, P. J. 2017. The shape of success in a turbulent world: wave exposure filtering of coral reef herbivory. Funct Ecol. DOI:10.1111/1365-2435.12828