17.08.2023 | Die Wissenschaft steht vor einer Vielzahl von komplexen gesellschaftlichen Herausforderungen und Problemen. Klimawandel, Pandemien, Ressourcenknappheit oder die sich rasant entwickelnde Künstliche Intelligenz sind nur einige der aktuellen Anforderungen an die wissenschaftliche Gemeinschaft. Zudem müssen Fragen des fairen Zugangs zu Ressourcen, zur Verwendung von Forschungsergebnissen und der Anerkennung unterschiedlicher kultureller Perspektiven beantwortet werden.
„Es liegt auf der Hand, dass sich mit den neuen Anforderungen an die Wissenschaft auch in die Jahre gekommene Evaluationskriterien ändern müssen“, meint Prof. Dr. Raimund Bleischwitz, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung (ZMT).
Genau da setzt die im vergangenen Dezember auf europäischer Ebene gegründete „Coalition for Advancing Research Assessment“ an. Der Verbund will die Prozesse der Forschungsevaluation verbessern, traditionelle Bewertungsmethoden überdenken und moderne Ansätze fördern. So soll auch die Zusammenarbeit zwischen Disziplinen und mit gesellschaftlichen Gruppen bewertet werden, die letztlich die Forschungsergebnisse und deren gesellschaftliche Auswirkungen verbessern. Dabei bezieht CoARA Wissenschaftler:innen aktiv mit ein.
Inzwischen sind 527 internationale wissenschaftliche Einrichtungen und Forschungsverbünde der Koalition als Mitgliedsorganisationen beigetreten, indem sie die CoARA-Vereinbarung unterzeichnet haben (Stand: Juli 2023).
Zu den Mitgliedern der ersten Stunde zählt auch die Leibniz-Gemeinschaft. Raimund Bleischwitz und ein Team am ZMT haben in Absprache mit der Leibniz-Gemeinschaft erfolgreich ein Konsortium mit sechzehn Partnereinrichtungen aus zehn Ländern zusammengestellt, um sich der Bewertung von transformativen wissenschaftlichen Arbeiten zu widmen. Dies unterstreicht den Ansatz des ZMT, in Partnerschaften auf Augenhöhe neben Forschung auch Weiterbildung und Kapazitätsentwicklung zu betreiben und zudem auf langfristig tragfähige Lösungsansätze hinzuwirken.
Gerade hat CoARA die ersten internationalen Teams bestätigt, darunter auch die Arbeitsgruppe „Towards Transformations: Transdisciplinarity, applied/practice-based research, and impacts“, in der sich das ZMT, das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) und der Hochschullehrerbund Bundesvereinigung gemeinsam mit internationalen Partnern auf die Bewertung von Transdisziplinarität im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Lösung drängender gesellschaftlicher Probleme fokussieren werden. Die Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Marc Wolfram und Jörn Weinhold vom IÖR unterstreicht sowohl die gute Kooperation als auch das Gewicht der Leibniz-Gemeinschaft in der internationalen Forschung.
Raimund Bleischwitz sagt: „Wir freuen uns, bei der ersten Runde internationaler Arbeitsgruppen dabei zu sein und Leitungsverantwortung zu tragen. Angesichts der vielen drängenden Umweltprobleme steht die Forschung in der Verantwortung, auf gesellschaftliche Veränderungen hinzuwirken. Ein internationales Team leiten zu können, das neue Evaluierungskriterien für eine Transformationsrolle der Forschung entwerfen soll, ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Wir werden dabei auch auf internationale Partnerschaften mit vulnerablen Küstengemeinschaften in den Ländern des Globalen Südens achten.“
Über die neue Arbeitsgruppe „Towards Transformations: Transdisciplinarity, applied/practice-based research, and impacts“
Die Arbeitsgruppe „Towards Transformations: Transdisciplinarity, applied/practice-based research, and impacts“ umfasst drei parallel arbeitende Untergruppen und wurde am 7. August vom CoARA-Lenkungsausschuss (Steering Board) bestätigt. Ab November 2023 ist ein zweijähriger interaktiver und inklusiver Koproduktionsprozess vorgesehen.
Die drei Untergruppen werden an eng verwandten Themen arbeiten:
Das vom ZMT geleitete Team will die Messung forschungsbasierter gesellschaftlicher Veränderungen und Auswirkungen verbessern und Leitlinien für Forschung, Organisationen und narrative Lebensläufe entwickeln, um verantwortungsvollere Methoden zur Bewertung von Forschung und Forschenden zu entwickeln. In einer späteren Phase werden Pilotprojekte durchgeführt und internationale Standards für transformative Forschung geschaffen. Partner in der Gruppe sind Laura Niemi von der Universität von Turku (Finnland), Tommaso Ciarli von der Universität von Maastricht (Niederlande) und der United Nations University - Maastricht Economic and Social Research Institute on Innovation and Technology Maastricht (UNU MERIT).
Gemeinsam mit FORMAS, dem Schwedischen Wissenschaftsrat für nachhaltige Entwicklung, leitet das IÖR eine Gruppe, die sich auf die Bewertung transdisziplinärer Forschung konzentriert, d.h. einen kritischen und selbstreflexiven Forschungsansatz, der gesellschaftliche mit wissenschaftlichen Problemen in Beziehung setzt und gemeinsam mit (nichtwissenschaftlichen) Akteur:innen neues Wissen produziert. „Transdisziplinarität ist ein entscheidender Forschungsmodus zur Bewältigung von Nachhaltigkeitstransformationen und bildet einen wichtigen Eckpfeiler des IÖR-Forschungsprogramms. Allerdings wird dieser Modus von Fördermittelgebern und Evaluationsregeln bislang nur unzureichend berücksichtigt", sagt Prof. Marc Wolfram, Direktor des IÖR. „Wir hoffen daher, dass wir mit der Arbeit in der CoARA-Arbeitsgruppe zur Gestaltung neuer Bewertungsstandards beitragen werden. Diese neuen Standards sollen sicherstellen, dass die spezifischen Qualitäten transdisziplinärer Forschung erfasst und dadurch deren Anerkennung in Wissenschaft und Politik entscheidend verbessert werden.“
Die dritte Gruppe, geleitet von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) befasst sich mit den Auswirkungen angewandter/praxisbezogener Forschung. Die Arbeitsgruppe wird Good-Practice-Beispiele für die Bewertung verschiedener Arten der angewandten praxisbezogenen Forschung sammeln und entsprechende Indikatoren vorschlagen, die von Förderern und politischen Entscheidungsträgern diskutiert werden sollen.