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13.05.2024 | Der Klimawandel ist wissenschaftlich erwiesen, doch noch immer leugnen ihn viele Menschen. Gäbe es einen breiteren gesellschaftlichen Konsens, könnte der Klimawandel effektiver bekämpft werden. Ein Team von Forschenden des Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung (ZMT) und der Constructor University Bremen hat nun ein mathematisches Modell entwickelt, um zu simulieren, wie Menschen ihre Meinung zu Klimafragen ändern. Die Forschenden kommen zu dem Schluss, dass mehr Ambiguität in der Kommunikation helfen kann, einen Konsens zu erreichen. Die Studie wurde kürzlich im Fachjournal Royal Society Open Science publiziert.


Kurz zusammengefasst:

  1. Konsens in Klimafragen: Forschende des ZMT und der Constructor University Bremen haben ein mathematisches Modell entwickelt, das zeigt, wie Mehrdeutigkeit in der Kommunikation dazu beitragen kann, einen Konsens in Klimafragen zu erreichen.
  2. Daten: Als Ausgangspunkt für das Modell wurden Umfragedaten aus den USA verwendet, die verschiedene Meinungen zum Klimawandel beinhalten. Wenn die Akteur:innen in dem Modell interagieren und Meinungen austauschen, kann es zu einem Konsens, einer Meinungsverschiedenheit oder sogar zu einer Polarisierung kommen.
  3. Ergebnisse: Die Ergebnisse der Modellierung deuten darauf hin, dass in einer Gesellschaft, die von einem gewissen Maß an Wahrnehmungsverzerrung („Bias“) gekennzeichnet ist, ein Konsens für die Umwelt nur dann erreicht werden kann, wenn die Kommunikation zwischen den Akteur:innen durch ein bestimmtes Maß an Unklarheit und Mehrdeutigkeit , d.h. „Noise durch Ambiguität“ („Ambiguity Noise“), geprägt ist.
  4. Schlussfolgerung: Um den Klimawandel wirksam zu bekämpfen, ist es notwendig, die Rolle kognitiver Prozesse zu verstehen, die eine zunehmend gespaltene und polarisierte Gesellschaft daran hindern oder sie in die Lage versetzen, einen Konsens bei Themen wie Klimawandel zu erreichen.
  5. Einsatz der mathematischen Modellierung: Zusätzlich zu traditionellen sozialwissenschaftlichen Ansätzen ist die mathematische Modellierung ein wichtiges Instrument, um die Rolle, die kognitive Verzerrungen und „Noise durch Ambiguität“ bei der Konsensbildung spielen, schneller zu verstehen.

Kognitive Wahrnehmungsverzerrungen gehören zu den wichtigsten Faktoren, die Menschen daran hindern, ihre Meinung zu ändern. Klimaleugner:innen und Klimaaktivist:innen tendieren oft dazu, nur Informationen zu akzeptierten, die ihre jeweilige Überzeugung zu dem Thema bestätigen. Die Meinungsdynamik wird jedoch auch von einem Faktor beeinflusst, den die Forschenden „Noise durch Ambiguität“ nennen. Anders als die systematischen Wahrnehmungsverzerrungen ist „Noise“ variabel, hängt von vielen Zufallsfaktoren ab und führt zu inkonsistenten Einschätzungen.

Kann eine Gesellschaft, die zunächst von unterschiedlichen Meinungen zum Thema Klimawandel geprägt ist, trotz verzerrter Wahrnehmung und unter Berücksichtigung von „Noise“, zu einem Konsens gelangen? Ein Team unter Leitung von Prof. Dr. Agostino Merico, Leiter der Arbeitsgruppe Systemökologie am ZMT, ist dieser Frage in einer Studie nachgegangen. Sie wurde kürzlich in der Zeitschrift Royal Society Open Science veröffentlicht.

„Unser Modell basiert auf realistischen Annahmen darüber, wie Menschen ihre Meinungen ändern, und berücksichtigt die kognitiven Prozesse, die die Meinungsdynamik in einer Gesellschaft beeinflussen“, sagt Merico. Das Modell wurde mit Umfragedaten aus den USA gefüttert, aus denen sich sechs Meinungsgruppen in Bezug auf den Klimawandel ergeben: die Alarmierten, Besorgten, Vorsichtigen, Unbeteiligten, Zweifelnden und die Ablehnenden. Die Simulationen zeigt: Wenn in der virtuellen Gesellschaft miteinander interagiert und Meinungen ausgetauscht werden, bildet sich entweder eine einzige gemeinsame Meinung heraus, die Standpunkte polarisieren sich weiter oder die Meinungsunterschiede verfestigen sich.

Die Ergebnisse des Modells legen nahe, dass ein Konsens zugunsten der Umwelt nur dann erreicht werden kann, wenn die Kommunikation zwischen den simulierten Individuen durch ein gewisses Maß an Unklarheit und Mehrdeutigkeit, also von „Noise durch Ambiguität“, geprägt ist. „Klare und unmissverständliche Botschaften wie ‚Atomkraft? Nein Danke!‘ verhindern tendenziell eine Konsensbildung. Eine etwas unklarere Kommunikation, die Raum für Interpretation lässt, kann dagegen trotz anfänglicher Meinungsverschiedenheiten zu einem Konsens führen“, ergänzt Peter Steiglechner, Erstautor der Publikation und Doktorand an der Constructor University.

Die Wissenschaftler sind davon überzeugt, dass es für die Bekämpfung des Klimawandels nicht ausreicht, die Klimavorhersagen zu verbessern oder die wissenschaftlichen Fakten öffentlichkeitswirksam zu verbreiten, denn Fakten alleine änderten nicht unbedingt die Meinungen der Menschen. „Wir müssen auch die kognitiven Mechanismen verstehen, die es einer zunehmend gespaltenen und polarisierten Gesellschaft ermöglichen, in Fragen wie dem Klimawandel einen positiven Konsens zu finden“, betont Merico. „Das Zeitfenster für den Klimaschutz schließt sich schnell. Je früher wir einen Konsens in Klimafragen erzielen können, desto größer sind die Erfolgsaussichten für die Entwicklung wirksamer Maßnahmen gegen die drohende Klimakrise. Neben den traditionellen sozialwissenschaftlichen Ansätzen ist die mathematische Modellierung ein wichtiges Instrument, um bei diesen Problemen schneller voranzukommen.“

Noise and opinion dynamics: How ambiguity promotes pro-majority consensus in the presence of confirmation bias”, P. Steiglechner, M.A. Keijzer, P.E. Smaldino, D. Moser und A. Merico (2024) in Royal Society Open Science.
Link zur Studie:
 https://doi.org/10.1098/rsos.231071