Mangroven an der Küste von Barú | Foto: Carolina Hortúa Romero

02.02.2023 | Laut Recherchen des britischen Guardian, der deutsche Wochenzeitung DIE ZEIT und der journalistischen Non-Profitorganisation Source Material sollen 90% der CO2-Zertifikate, die von der weltweit führenden Zertifizierungsagentur Verra ausgestellt wurden, offenbar wertlos seien. Verra hat die Berichte in einer Online-Erklärung bestritten.

„Blue Carbon"-Expert:innen des Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung (ZMT) begrüßen die Untersuchung und die damit einhergehenden Berichte über mögliche Mängel im Kompensationssystem, verweisen aber gleichzeitig auf die große Zahl wissenschaftlich begleiteter Projekte, die für den Klimaschutz sinnvoll und wichtig seien und weiterhin gefördert werden sollten. Die Forschenden wissen um den Druck, der von Akteuren in der industriellen Klimapolitik ausgeht, und haben zwei weitere wichtige Botschaften: Angemessene wissenschaftliche Bewertungen, solide Standards und unabhängige Überprüfungssysteme sind notwendig, ebenso wie Bewertungen des zusätzlichen Nutzens für die Lebensgrundlagen der Küstengemeinden vor Ort.

„Langjährige Forschungen haben gezeigt, dass in Küstenökosystemen kurz- und langfristig erhebliche Mengen an CO2 gespeichert werden können“, erklärt Prof. Dr. Martin Zimmer, Mangrovenökologe am ZMT. Mangrovenökosysteme, die am ZMT seit 1995 erforscht werden, spielten in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle.

„Mangrovenwälder und andere Küstenökosysteme lagern vielerorts das Vielfache an CO2 in ihren Sedimenten ein im Vergleich zu der Mehrzahl terrestrischer Ökosysteme", so Zimmer. „Ein einzelner Mangrovenbaum ist in der Lage, innerhalb von 25 Jahren bis zu vier Tonnen CO2 aus der Atmosphäre zu entnehmen und in seiner Biomasse zu speichern – je nach Art und Umweltbedingungen.“

Dr. Tim Jennerjahn, Biogeochemiker am ZMT, ergänzt: "Eine weitaus größere Menge wird zudem im Sediment darunter abgelagert und für Jahrhunderte oder gar Jahrtausende gespeichert, solange das Mangrovenökosystem weitgehend ungestört bleibt.“

Neben der weithin diskutierten Beiträge von Küstenökosystemen zur Klimawandelmitigation und -anpassung, lieferten Mangroven zudem zahlreiche wichtige und wertvolle Ökosystemleistungen, dienten etwa dem Küstenschutz und als Quelle natürlicher Ressourcen wie Nahrungsmittel oder Holz.

ZMT-Mangrovenforscherin Dr. Véronique Helfer unterstreicht das Potenzial für Mangrovenaufforstung: „Seit der industriellen Revolution sind etwa die Hälfte der Mangrovenwälder weltweit vernichtet worden. Von diesen zerstörten Flächen könnten ca. 800.000 Hektar durch Aufforstung wiederhergestellt werden.“ Mangrovenaufforstungsprojekte sollten immer lokale Akteure und Nutzer einbinden, wodurch Arbeitsplätze geschaffen werden und zum Wohlergehen der lokalen Bevölkerung beigetragen wird, so die Forscherin. „Um zuverlässige CO2-Zertifikate und faire Gewinnverteilung gewährleisten zu können, müssen wir neue Standards entwickeln, die auf Monitoring und wiederholten Messungen beruhen,“ fordert Helfer. Der Verkauf von CO2-Zertifikaten auf dem globalen Kohlenstoffmarkt gilt als wichtige Finanzierungsquelle für Schutz- und Wiederaufforstungsprojekte.

Die ZMT-Ökonomen Prof. Dr. Raimund Bleischwitz und Prof. Dr. Achim Schlüter betonen die Vorteile von Mangrovenaufforstungsprogrammen. So schätzt etwa das „High Level Panel for a Sustainable Ocean Economy“ (Ocean Panel), bestehend aus 17 Staats- und Regierungschefs, das Nutzen-Kosten-Verhältnis auf 3:1.„Die wirtschaftlichen Gewinne sollten gleichmäßig unter allen beteiligten Gruppen aufgeteilt werden, insbesondere unter Berücksichtigung der lokalen Bevölkerungsgruppen, mit Dividenden für die Küstengemeinden und öffentlichen Investitionen in das Sozialkapital. Die Charta natürlicher Ressourcen (Natural Resource Charter) macht nützliche Vorschläge in dieser Richtung“, so die beiden Ökonomen.

ZMT-Forschende bewerten Mangrovenaufforstungs- und -schutzprogramme weltweit

Das ZMT hat es sich zur Aufgabe gemacht, Mangrovenaufforstungs- und schutzprogramme weltweit auf wissenschaftlicher Basis zu bewerten und zu begleiten. In Kooperation mit dem aus dem Institut hervorgegangenen Start-Up fairGROVE stehen Forschende des ZMT den NGOs vor Ort bei der Projektentwicklung, dem Betrieb und der nachhaltigen Vermarktung zur Seite. Zertifikate dieser Projekte für die Kompensierung von CO2-Emissionen müssen auf wissenschaftlicher Grundlage und verlässlichen Daten beruhen.

Martin Zimmer: „Dazu muss – mithilfe multidisziplinärer wissenschaftlicher Initiativen – der gesamte Prozess von CO2-Zertifizierungen professionalisiert und vereinheitlicht werden: Nachweis und Qualifizierung der tatsächlich gespeicherten Mengen von CO2 je Zertifikat und Projektart, sowie Erfassung und Quantifizierung der jeweiligen zusätzlichen Nutzen und Leistungen sind unerlässlich.“