10.09.2020 | Durch menschliche Eingriffe geraten Ökosysteme in Meeren und Ozeanen immer stärker unter Druck. In Korallenriffen bedrohen steigende Wassertemperaturen und Ozeanversauerung, Verschmutzung durch Plastikmüll oder Überfischung die dort lebenden Organismen, wie Fische, Seegurken oder Korallen. Doch wie verändert eigentlich die direkte physische Präsenz des Menschen unter Wasser das Verhalten und die Ökologie von Tieren im Korallenriff?
Vor der Küste des Inselstaates Vanuatu im Südpazifik untersuchten Forschende des Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung (ZMT) in Bremen und der Auckland University of Technology (AUT) in Neuseeland das Verhalten von Anemonenfischen bei Begegnungen mit Menschen. Teamleiter Dr. Julian Lilkendey vom ZMT sowie Dr. Armagan Sabetian und Masterstudentin Lena Trnski, beide von der AUT, kamen dabei zu teils überraschenden Ergebnissen. Die Studie ist im Journal of Fish Biology erschienen.
Anemonenfische, auch Clownfische genannt, sind nicht nur niedliche Protagonisten im Kinohit „Findet Nemo“, auch in der Wissenschaft sind sie gefragte Darsteller und dienen häufig als Modellorganismen für Verhaltensstudien an Fischen. Clownfische leben in Symbiose mit Seeanemonen. Während die Anemone dem Fisch in ihren Tentakeln Schutz vor Angreifern bietet, verteidigen die Clownfische die Anemone vor Eindringlingen und versorgen sie durch Nahrungsreste und Ausscheidungen mit Futter.
Bei der Bewachung ihrer Wirtsanemone zeigen die einzelnen Fische gut voneinander unterscheidbare Verhaltensweisen. Die enge Verbindung zu ihrer sesshaften Anemone macht Clownfische allerdings auch besonders anfällig für menschliche Präsenz. Durch diese Ortsgebundenheit an ihren Symbionten können die Fische Menschen unter Wasser nur begrenzt ausweichen.
Während ihrer Untersuchungen in Vanuatu konzentrierten sich die Forschenden auf zwei Arten von Clownfischen – den Clarks Anemonenfisch und den Schwarzflossen-Anemonenfisch – und wollten wissen, ob die Fische bei Begegnung mit Menschen ihr Verhalten änderten.
Dazu schnorchelte die Hauptautorin Lena Trnski in Riffen vor der Insel Efate und dokumentierte die Reaktionen der Clownfische mit ihrer Videokamera. Um die Anwesenheit eines Beobachters zu simulieren, schwamm sie ein bis drei Meter über der Anemone. Während der zum Vergleich aufgezeichneten Videoaufnahmen war sie hingegen nicht anwesend. Zuhause am Laptop notierte die Forscherin das Verhalten jedes Fisches in der Anemone in Intervallen von 15 Sekunden. Insgesamt wurden für jeden Anemonenfisch sowohl in Trnskis Anwesenheit als auch in ihrer Abwesenheit 60 Verhaltensereignisse aufgezeichnet.
In ihrer Anwesenheit zeigten die Fischindividuen je nach Art sehr unterschiedliche Verhaltensmuster, berichten die Forschenden. „Während Clarks Anemonenfische durch die Begegnung mit Menschen erschreckt wurden und sich häufig tief in den Tentakeln der Anemone versteckten, reagierten die Schwarzflossen-Anemonenfische weniger auf die Anwesenheit eines Menschen“, so Studienleiter Dr. Julian Lilkendey. „Wir hätten eigentlich erwartet, dass sich auch die Schwarzflossen-Anemonenfische vor Lena verstecken oder sie vielleicht angreifen würden, aber sie ließen sich zumeist nicht von ihr stören. Oft befanden sich die Fische sogar bis zu einem Meter außerhalb der Tentakel ihrer Anemone.“
Lena Trnski erklärt: „Wir vermuten, dass Schwarzflossen-Anemonenfische in Gegenwart von Menschen ein eher kühneres Verhalten zeigen, da es sich um eine überaus spezialisierte Art handelt, die nur wenige Anemonenarten bewohnen kann. Um eine geeignete Wirtsanemone zu finden, ist es für die Larven der Schwarzflossen-Anemonenfische durchaus von Vorteil, sich unerschrocken im Riff auf die Suche zu machen – selbst wenn sie durch dieses Verhalten auch anfälliger für Fraßfeinde sind. Eben jene Unerschrockenheit zeigt sich aber auch darin, dass sie vor dem Menschen nicht flüchten.“
Mut zahlt sich aus
Aufgrund dieser Beobachtungen folgern die Forschenden, dass in stark touristisch geprägten Regionen ‚mutige‘ Clownfischarten wie die Schwarzflossen-Anemonenfische ängstlichere Arten verdrängen könnten. „Arten, die sich gestresst zum Schutz in ihre Anemone zurückziehen, verwenden viel Energie und Zeit auf dieses eine Fluchtverhalten und können sich daher weniger mit der Nahrungssuche oder Fortpflanzung beschäftigen“, sagt Lilkendey. „Unerschrockene Arten sind ihnen gegenüber im Vorteil.“
„Der daraus resultierende Verdrängungsprozess hätte letztlich einen Verlust der Artenvielfalt zur Folge“, ergänzt Trnski.
„Die ökologischen Folgen eines durch den Menschen veränderten Verhaltens sind noch weitestgehend unerforscht“, erzählt Lilkendey. „Wir vermuten, dass Unterschiede im Verhalten einzelner Tiere Auswirkungen auf die Interaktionen zwischen den Arten wie etwa auf Räuber-Beute-Beziehungen oder Symbiosen haben könnten, was wiederum Gemeinschaftsstrukturen und das Funktionieren des gesamten Ökosystems beeinflusst.“
Publikation
Trnski, L., Sabetian, A., Lilkendey, J. (2020) Scaring Nemo – Contrasting effects of observer
presence on two anemonefish species. Journal of Fish Biology. https://doi.org/10.1111/jfb.14492