15.07.2020 | Vor fünf Jahren wurde mit dem 26. Juli zum ersten Mal der "Internationale Tag der Mangrove"von der UNESCO ins Leben gerufen, um daran zu erinnern, wie wichtig Mangrovenwälder in den Tropen nicht nur für Tiere und Menschen vor Ort, sondern auch für das globale Klima sind. Am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) erforscht Professor Martin Zimmer diese faszinierenden Überlebenskünstler, die im salzigen Wasser der Gezeitenzone wachsen. Um Mangroven weltweit zu schützen, hat Zimmer mit Kolleginnen und Kollegen am ZMT das Konzept des Ökosystem-Designs entwickelt.
Mangrovenforschung ist eine schmutzige Angelegenheit. Knietief im Schlamm versinkt Martin Zimmer oft bei der Arbeit im Feld, oder er steht bis zur Hüfte im warmen Wasser, um Proben aus dem Sediment zu ziehen. Dazu kommt die Hitze – bis zu 40 Grad im Schatten kann es etwa im brasilianischen Bragança werden. Die Region südlich der Amazonasmündung ist einer der Orte, an denen der Mangrovenökologe forscht.
Zum Schutz trägt Martin Zimmer eine Baseballkappe und lange Kleidung, auch wegen der blutsaugenden Insekten. In dieser extremen Umgebung wird die Probenentnahme zu einer besonderen Herausforderung. „Hitze, Austrocknung, Schweiß und Schlamm machen es nicht so einfach mit Proben von Mikroorganismen oder Umwelt-DNA einwandfrei sauber und steril zu arbeiten“, berichtet Martin Zimmer. Er liebt es im Feld unterwegs zu sein, oft fernab der Zivilisation, um herauszufinden, wie Mangroven als Ökosystem funktionieren und was zu ihrem effektiven Schutz nötig ist.
Mangroven binden große Mengen an Kohlenstoffdioxid und anderen Klimagasen
Über eine Fläche von rund 15 Millionen Hektar gedeihen Mangrovenwälder weltweit in ganz besonderen Lebensräumen. Die etwa 80 verschiedenen Arten, die es auf der Erde gibt, wachsen in der Gezeitenzone oder an Flussmündungen und können in salzwassergesättigten Sedimenten mit wenig Sauerstoff leben – Bedingungen, die für die meisten Pflanzenarten tödlich wären.
Für Menschen und Tiere spielen Mangrovenwälder eine wichtige Rolle. Mangroven binden große Mengen an Kohlenstoffdioxid und anderen Klimagasen. Insgesamt schätzen Forscher, dass zwischen vier und 20 Milliarden Tonnen Kohlenstoff in den Gezeitenwäldern gespeichert sind. Mangroven tragen so erheblich zum Klimaschutz bei. Die tropischen Wälder bewahren die Küsten vor Erosion durch Sturmwellen, sie bieten Küstenschutz und beherbergen zahllose Fisch- und Krustentierarten. Deshalb gilt es, die Mangroven zu schützen.
Obwohl eine aktuelle Studie unter Beteiligung des ZMT den globalen Bemühungen um den Mangrovenschutz jetzt Erfolge bescheinigt und den Mangrovenschwund innerhalb der letzten 20 Jahre auf 0,3 bis 0,6 Prozent pro Jahr beziffert, bedarf es weiterhin großer Anstrengungen, um diesen positiven Trend fortzusetzen. Mangrovenwälder auf der ganzen Welt sind weiterhin durch Aquakultur, Landwirtschaft und Stadtentwicklung bedroht. Ein traditioneller Brennpunkt der Mangrovenabholzung ist Südostasien, wo Aquakulturanlagen und Reisfelder weite Küstengebiete säumen.
„Diese neuen Zahlen stimmen positiv, doch sie ändern nichts daran, dass in den vergangenen 50 Jahren mehr als ein Drittel der weltweiten Mangrovenbestände abgeholzt oder zerstört wurden“, erklärt Martin Zimmer.
Ökosystem-Design zum Schutz der Mangroven
Häufig scheitern Projekte zur Restauration von Mangroven, weil wichtige ökologische Voraussetzungen ignoriert werden. So werden etwa Mangroven an Standorten angepflanzt, die starken Strömungen ausgesetzt oder aus anderen Gründen ungeeignet sind. Oft werden auch wenig stressresistente Monokulturen angelegt oder Arten ausgebracht, die nicht einheimisch sind, invasiv werden und zu massiven ökologischen Problemen führen können.
Um Mangroven zu schützen, hat Martin Zimmer nun das Konzept des Ökosystem-Designs entwickelt. Dabei geht es zunächst darum, die Ökosystemleistungen und Ressourcen der Mangroven durch nachhaltige Bewirtschaftung zu erhalten. Doch welche Schutzansätze umgesetzt und welche Bewirtschaftung zugelassen wird, hängt im nächsten Schritt von einer Priorisierung der Bedarfe ab. „Nicht immer entsprechen die Schutzmaßnahmen den Bedarfen aller betroffenen Bevölkerungsgruppen, und nicht immer führen die entsprechenden Entscheidungen zu mehr Nachhaltigkeit“, so Zimmer. „Ökosystem-Design geht offensiv mit diesem Problem um.“
In der Praxis sieht das so aus: Forschende analysieren Erwartungen und Bedarfe und entwickeln daraus ein Konzept zur optimalen Gestaltung des Ökosystems, um genau die Ökosystemdienstleistungen weiterhin zu sichern oder wieder herzustellen, die vorab priorisiert wurden.
„Das kann verschiedene Entscheidungen nach sich ziehen, etwa dass bestimmte Bereiche der Ökosysteme vollkommen geschützt, teilweise genutzt, anders genutzt und vor allem nach Degradierung zielgerichtet wiederhergestellt werden“, sagt Zimmer. „Der Mensch steht also im Zentrum des Ansatzes Ökosystemdesign, nicht die Vorstellung einer unberührten Natur.“
Dass sich aus diesem Ansatz sehr wohl Bedenken ethischer Natur oder im Hinblick auf eine Priorisierung der Nutzung ergeben können, ist Zimmer bewusst. Das Konzept des Ökosystem-Design wird von Umweltschützern häufig wegen des aktiven Eingriffs in die Artzusammensetzung eines Lebensraums kritisiert.
Dazu erklärt Martin Zimmer: „Der damit verbundene Vorwurf der Anmaßung als Schöpfer zu handeln, greift jedoch zu kurz: auch klassische Restauration folgt diesem Ansatz, auch wenn mit anderen Zielen. Auch die menschliche Kultivierung der Natur für Forst- und Ackerwirtschaft, Gartenbau oder Aquakultur stellt seit Jahrhunderten einen aktiven Eingriff ins Naturgeschehen dar – im Gegensatz zum Ökosystem-Design meistens allerdings ohne die Folgen für unsere Umwelt und für uns selbst zu bedenken oder zu berücksichtigen", so Zimmer.
„Maßgeschneiderte Systeme, die nachhaltig leisten, was die Anrainergesellschaft benötigt, sind im Vergleich zu natürlich gewachsenen Ökosystemen möglicherweise artenärmer“, sagt Zimmer. Das könne ein Problem sein, wenn Artenvielfalt als solche eine benötigte Ökosystemdienstleistung ist. „Wenn es beispielweise um Biodiversität als Attraktion für den Tourismus geht, würde Ökosystem-Design in der einfachen Form nicht greifen“, erklärt der Mangrovenexperte.
Insgesamt solle der Ansatz des Ökosystem-Designs nur einen Anstoß geben. „Sobald das Ökosystem funktioniert, können sich weitere Arten ansiedeln, Fische, Krabben, Vögel oder Affen werden die Mangroven besiedeln, aber auch weitere Mangrovenarten, deren Samen von den Gezeiten angeschwemmt werden“, meint Zimmer. „Auch ein einfach designtes Mangroven-Ökosystem kann sich in Richtung eines natürlich gewachsenen artenreichen Systems entwickeln, wenn das nicht den priorisierten Ökosystemleistungen entgegenwirkt.“