23.02.2024 | Einem internationalen Forschungsteam ist es erstmals gelungen, durch die Entnahme von Bohrkernen fossiler Korallenriffe vor der Küste von Hawai'i (USA) eine hochauflösende kontinuierliche Aufzeichnung von Umweltdaten aus tropischen Korallen zu gewinnen. Diese Bohrkerne wurden im Rahmen einer Expedition des International Ocean Discovery Program (IODP) unter der Leitung von Professor Jody Webster (School of Geosciences, University of Sydney, Australien) und Professor Christina Ravelo (Ocean Sciences Department an der University of California, Santa Cruz, USA) gewonnen. Nach fast einem Monat intensiver Arbeit am MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen im Februar 2024 sind die Bohrkerne nun geöffnet, analysiert und beprobt worden. Auch Professor Hildegard Westphal vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) und der Universität Bremen war aktiv an der On-Shore Phase der IODP-Expedition 389 „Hawai‘ian Drowned Reefs“ beteiligt.
Die Expedition hatte zum Ziel, Aufzeichnungen über das vergangene Klima und die Riffbedingungen vor der Küste von Hawai'i zu gewinnen. Während der Offshore-Phase der Expedition wurden insgesamt 426 Meter Bohrkerne in Wassertiefen von 130 bis 1.240 Metern aus dem Meeresboden geborgen. Korallen speichern vergangene Umweltbedingungen in ihren Kalkskeletten. Die Forschenden werden in ihren Laboren modernste Methoden anwenden, um aus diesen enorm wichtigen hochauflösenden Archiven Informationen über den Meeresspiegel und Klimaveränderungen zu gewinnen.
„Wir konnten eine spektakuläre Abfolge fossiler Riffablagerungen bergen, die es uns ermöglichen wird, in noch nie dagewesener Detailgenauigkeit zu entschlüsseln, wie sich der Meeresspiegel, das Paläoklima und das Riff-Ökosystem in den vergangenen 500.000 Jahren verändert haben, insbesondere in Zeiten rapider globaler Veränderungen“, sagt Jody Webster. Der Blick zurück in die Erdgeschichte werde wertvolle Informationen liefern, versichert er.
Detaillierte und zum Teil saisonale Klimaaufzeichnungen
Die Expedition ist der Höhepunkt einer langjährigen Planungsphase, bei der sorgfältig die besten Standorte ausgewählt wurden, um Aufzeichnungen über vergangene Veränderungen zu erhalten, die wichtige Informationen über den Klimawandel liefern. „Wir freuen uns auch, dass wir viele Proben von fossilen Korallen mit Jahresbändern geborgen haben, mit denen wir zum ersten Mal detaillierte Aufzeichnungen über die monatlichen Veränderungen der ozeanografischen Bedingungen in vergangenen Perioden, die anders waren als heute, erarbeiten werden. Anhand dieser Daten sollen Vorhersagen über künftige pazifikweite Klimaveränderungen getroffen werden“, ergänzt Christina Ravelo.
Sorgfältig kuratierte Bohrkerne von hohem wissenschaftlichem Interesse für zukünftige Forschung
„IODP ist vergleichbar mit der International Space Station – nur eben für Geologen. Es ist eine hochkarätige, internationale Kooperation, die neben hochinteressanter Wissenschaft bewusst ein Vermächtnis für künftige Forscherinnen und Forscher schafft. Für zukünftige Forschung stehen am Ende sorgfältig kuratierte Bohrkerne von hohem wissenschaftlichem Interesse inklusive aller Metadaten und wissenschaftlichen Hintergrundinformationen zur Verfügung“, sagt Hildegard Westphal über die Bedeutung der IOPD-Expedtion.
„Diese Bohrkerne liefern einzigartige Informationen darüber, wie die Ökosysteme der Korallenriffe auf den raschen Anstieg des Meeresspiegels reagieren. Korallenriffe sind zwar an das Wachstum bei steigendem Meeresspiegel angepasst, ertrinken aber bei schnellen Anstiegsschüben. Doch wie dieses Ertrinken vonstattengeht und was die Riffe wirklich zum Aufgeben zwingt, ist noch nicht vollständig geklärt. Diese Bohrkerne decken eine Reihe von glazialen und interglazialen Meeresspiegelzyklen ab und liefern eine detaillierte Aufzeichnung, wie sie bisher noch nicht verfügbar war. Dadurch können wir etwas über die Bedeutung des modernen Meeresspiegelanstiegs erfahren,“ so Westphal, Leiterin der Arbeitsgruppe Geoökologie und Karbonatsedimentologie am ZMT.
Temperaturschwankungen des Nordpazifiks für die vergangenen bis zu 500.000 Jahre rekonstruieren
„Die auf der IODP Expedition 389 vor Hawai'i gewonnenen fossilen Korallen werden es uns erstmals ermöglichen, Temperaturschwankungen des Nordpazifiks für die vergangenen bis zu 500.000 Jahre zu rekonstruieren, insbesondere auch zwischenjährliche und saisonale Schwankungen. Temperaturvariationen auf diesen gesellschaftsrelevanten Zeitskalen spielen eine bedeutende Rolle im heutigen Klimawandel und den dadurch verursachten Extremen wie marinen Hitzewellen“, sagt Expeditionsteilnehmer Dr. Thomas Felis. Am MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen leitet er die Arbeitsgruppe Korallen-Paläoklimatologie und ist Koordinator des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Schwerpunktprogramms „Tropische Klimavariabilität & Korallenriffe“ (SPP 2299). Dieses deutschlandweite Verbundprojekt ist thematisch mit der aktuellen IODP-Expedition verknüpft – drei weitere Forschende aus dem Schwerpunktprogramm sind ebenfalls im internationalen Forschungsteam. „Die Aufzeichnungen aus dem Pazifik werden auch zu einem besseren Verständnis der Klimavariabilität in den tropischen-subtropischen Ozeanen und ihrer Auswirkungen auf das Ökosystem der Korallenriffe in einer sich erwärmenden Welt beitragen, einem der Hauptziele des SPP 2299, der insbesondere in der heutigen und in vergangenen Warmzeiten arbeitet.“
Datenanalyse für ein besseres Verständnis des Erdsystems
Die wissenschaftlichen Ziele der Expedition zielen darauf ab, Fragen zu vier Hauptthemen zu beantworten:
- Das Ausmaß der Meeresspiegelveränderung in den vergangenen halben Million Jahren zu rekonstruieren,
- Zu untersuchen, warum sich Meeresspiegel und Klima im Laufe der Zeit ändern,
- Wie Korallenriffe auf abrupte Meeresspiegel- und Klimaveränderungen reagieren,
- Die wissenschaftlichen Erkenntnisse über Wachstum und Absenkung von Hawai’i im Laufe der Zeit zu verbessern.
Das Wissenschaftsteam der IODP-Expedition 389 besteht aus 31 Wissenschaftler:innen verschiedener Fachrichtungen aus Australien, China, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Indien, Japan, den Niederlanden, Österreich, Spanien und den USA, von denen zehn im September und Oktober 2023 an Bord des Mehrzweckschiffs MMA Valour vor der Küste von Hawai'i waren, um Bohrkerne und Daten mithilfe eines ferngesteuerten Meeresboden-Bohrsystems zu sammeln. Nach der Offshore-Phase hat sich das gesamte Wissenschaftsteam im Februar 2024 im IODP-Kernlager Bremen am MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen getroffen, um die Kerne zu öffnen, zu analysieren und zu beproben und mit der Auswertung der gesammelten Daten zu beginnen. Die Wissenschaftler:innen werden die Proben und Daten in den kommenden Jahren in ihren Laboren weiter bearbeiten, um detaillierte Informationen aus diesem einzigartigen neuen Material und den zugehörigen Daten zu entschlüsseln.
Die Kerne werden archiviert und der internationalen wissenschaftlichen Gemeinschaft nach einer einjährigen Moratoriums-Periode für weitere wissenschaftliche Forschungen zugänglich gemacht. Alle Expeditionsdaten werden öffentlich zugänglich sein und die daraus resultierenden Ergebnisse veröffentlicht.
Die Expedition wird vom European Consortium for Ocean Research Drilling (ECORD) im Rahmen des International Ocean Discovery Program (IODP) durchgeführt. IODP ist ein öffentlich finanziertes internationales Meeresforschungsprogramm, das von 21 Ländern unterstützt wird und die in Sedimenten und Gesteinen des Meeresbodens aufgezeichnete Erdgeschichte und -dynamik erforscht sowie Bedingungen unter dem Meeresboden beobachtet. Mit verschiedenen Bohrschiffen und -plattformen – eine einzigartige Möglichkeit von IODP – untersuchen Wissenschaftler:innen die tiefe Biosphäre unter dem Meeresboden, Umweltveränderungen, Prozesse und Auswirkungen sowie Zyklen und die Dynamik der festen Erde.
Der ECORD Science Operator verfügt über große Erfahrung in der Arbeit in sensiblen Ökosystemen wie Korallenriffen, nach erfolgreichen Expeditionen zum Great Barrier Reef (Australien, 2010) und nach Tahiti (2005).
Mehr Information:
Über die Expedition – https://www.ecord.org/expedition389
Über das Forschungsprogramm – http://www.iodp.org/
Über den europäischen Beitrag des Programms – https://www.ecord.org/ und Missions-Spezifische Plattform-Expeditionen - https://www.ecord.org/expeditions/msp/concept/
Häufig gestellte Fragen: https://www.expedition389.wordpress.com/2023/06/25/frequently-asked-questions/
Expeditions-Logbuch: https://www.expedition389.wordpress.com