20/07/2021 | This text is currently only available in German…
Eine internationale Gruppe von Forschenden, die Tausende von Korallenwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern auf der ganzen Welt vertritt, fordert weltweit neue verpflichtende Maßnahmen auf politischer Ebene, um Korallenriffe zu schützen und wiederherzustellen. In einem Strategiepapier, das am Dienstag, 20. Juli 2021, auf dem 14. Internationalen Korallenriff-Symposium (ICRS) vorgestellt wurde, bringen die Forschenden zum Ausdruck, dass das kommende Jahrzehnt wahrscheinlich die letzte Chance für politische Entscheidungsträger auf allen Ebenen sein wird, einen „weltweiten Kollaps der Korallenriffe“ zu verhindern.
Das 14. ICRS wird in diesem Jahr von der Universität Bremen (Deutschland) virtuell im Internet organisiert. Es findet vom 19. bis zum 23. Juli 2021 mit rund 1.200 Teilnehmenden statt. Das von der Internationalen Korallenriff-Gesellschaft (International Coral Reef Society) entwickelte Strategiepapier empfiehlt mit Nachdruck drei Maßnahmen zur Rettung der Riffe: die Bekämpfung des Klimawandels, die Verbesserung der lokalen Bedingungen, und die aktive Wiederaufforstung von Korallenriffen.
Nur noch wenige Jahre Zeit
„Die Modellprojektionen zeigen, dass bis zu 30 Prozent der Korallenriffe in diesem Jahrhundert überleben werden, wenn wir die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius begrenzen", sagt Andréa Grottoli, Professorin für Geowissenschaften an der Ohio State University, Präsidentin der Internationalen Korallenriff-Gesellschaft und Mitautorin des Papiers. „Aber wenn wir die Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzen wollen, müssen wir es jetzt tun: Die Wissenschaft und die Modelle zeigen, dass wir nur noch wenige Jahre Zeit haben, um die Kohlendioxid-Emissionen zu reduzieren, die uns auf diesen Weg gebracht haben. Es muss in diesem Jahrzehnt geschehen, oder wir werden das Ziel nicht erreichen."
Die Korallenriffe befinden sich an einem Wendepunkt, sagen die Forschenden. Wenn jetzt damit begonnen wird, den Klimawandel zu stoppen, könnten einige Riffe überleben. Diese regenerieren sich dann im Laufe der Zeit. Wenn die Korallen dieser Riff ablaichen, dann könnten die mit Hilfe der Strömung verteilten Korallenlarven auch beschädigte Riffe anderswo wieder nachwachsen lassen.
„Wiederherstellung der Riffe eine große Herausforderung“
„Die aktuellen Forschungsergebnisse zeigen, dass nur sehr wenige Korallenriffe intakt bleiben werden, wenn wir jetzt nicht handeln“ sagt Christian Wild, Professor für Marine Ökologie an der Universität Bremen und Vorsitzender des 14. ICRS. In den nächsten Monaten werden politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger aus aller Welt auf der bevorstehenden UN-Klimakonferenz (COP26) und der UN-Biodiversitätskonferenz (COP15) aktualisierte globale Rahmenwerke zur Bewältigung dieser beiden Krisen schaffen.
Dr. Sebastian Ferse vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) und Mitglied im Organisationskommittee des 14. ICRS sagt, dass das von ihm koordinierte Strategiepapier erstellt wurde, um diese Rahmenwerke zu beeinflussen. „Der Schutz von Korallenriffen muss in verschiedenen Politikfeldern, wie Natur- und Artenvielfaltschutz, Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung, koordiniert angegangen werden“, führt Sebastian Ferse weiter aus.
Drei Forderungen an die politischen Entscheidungsträgerinnen und -träger:
- Sich dazu zu verpflichten, den Verlust der biologischen Vielfalt und die Auswirkungen des Klimawandels auf die Korallenriffe anzugehen. Sicherzustellen, dass die Politik ehrgeizig genug ist, um diese Krisen anzugehen, und sicherzustellen, dass die Politik die Maßnahmen umgesetzt werden.
- Es sollen koordinierte Maßnahmen in den betreffenden Politikfeldern und auf allen Ebenen der Regierungsführung ergriffen werden. Hierzu gehören lokale politische Organisationen ebenso wie internationale Gremien. Dies beinhaltet Bemühungen in den Bereichen Schutz, Management und Wiederherstellung sowie Maßnahmen, die sich mit der Anpassung an den Klimawandel, der biologischen Vielfalt und der nachhaltigen Entwicklung befassen.
- Es sollen neue Ansätze entwickelt werden, um Korallenriffen bei der Anpassung an den Klimawandel zu helfen. Die globale Erwärmung ist da, und eine Anpassung ist unvermeidlich. Ein kleiner Prozentsatz der Riffe und einige Korallenarten sind erfolgreich gemanagt worden. „Studien über diese 'Lichtblicke' liefern wichtige Lehren für künftige Maßnahmen, zum Beispiel, wie die Beteiligung lokaler Gemeinschaften die Managementergebnisse verbessern kann", schreiben die Wissenschaftler:innen.
Nicht nur der Klimawandel bedroht die Korallenriffe
„So schlimm wie die Auswirkungen des Klimawandels in den letzten Jahrzehnten war, haben wir auch große Mengen an Korallenriffen durch Überfischung, Verschmutzung und andere lokale Einflüsse verloren, und wir müssen beide Fronten gleichzeitig angehen", sagte Nancy Knowlton, Hauptautorin der Studie und emeritierte Lehrstuhlinhaberin für Meereswissenschaften am National Museum of Natural History der Smithsonian Institution.
„Der Klimawandel ist wichtig, aber es ist ebenso entscheidend, dass diese anderen Dinge nicht vernachlässigt werden. Es ist keine Zeit, darüber zu streiten, was am wichtigsten ist; wir müssen uns um alle Probleme gleichzeitig kümmern."
Bedeutend für Artenvielfalt, Wirtschaft, Medizin und Schutz vor Sturmfluten
Korallenriffe sind Ökosysteme von großer Bedeutung. So beherbergen sie etwa ein Drittel aller bekannten Arten der Ozeane, obwohl ihre Fläche weniger als 0,1 Prozent der Weltmeere ausmacht. Sie sind auch entscheidend für die lokale Lebensmittelversorgung und Wirtschaft. Allein durch den Rifftourismus werden jährlich etwa 36 Milliarden Dollar erwirtschaftet, und der globale wirtschaftliche Wert der Riffe über alle Sektoren hinweg nähert sich 10 Billionen Dollar pro Jahr.
Sie sind Quellen für wichtige biochemische Verbindungen, darunter Medikamente zur Behandlung von Krebs. Und sie schützen die Küsten vor Sturmfluten: Ein gesundes Riff kann Wellen brechen und mehr als 90 Prozent der ankommenden Wellenhöhe und -energie abfangen. Allein in den Vereinigten Staaten und ihren Territorien verringern Korallenriffe laut dem ICRS-Papier das Überschwemmungsrisiko für mehr als 18.000 Menschen. Das
entspricht einem Wert von 1,8 Milliarden Dollar. Ohne Riffe würden sich nach Schätzungen von Forschenden die jährlichen Überschwemmungsschäden mehr als verdoppeln, und die Überschwemmungen würden um 69 Prozent zunehmen.
Aber Riffe sind besonders anfällig für die negativen Auswirkungen des Klimawandels, der zu einem Anstieg der Meerestemperaturen und einer Versauerung des Meerwassers führt. Diese Umweltveränderungen können dazu führen, dass Korallen ausbleichen, aufhören zu wachsen und absterben.
„Das Zeitfenster für Maßnahmen zur Anpassung der Korallenriffe und zur Abschwächung des Klimawandels wird sich bald endgültig schließen", sagte David Obura, Mitautor des Stratgiepapieres und Direktor von CORDIO Ostafrika, einer gemeinnützigen Forschungsorganisation, die sich mit Korallenriffen und Nachhaltigkeit in Afrika beschäftigt. „Wir brauchen jetzt und in den kommenden Jahren eine massive Steigerung des Engagements, Kohärenz über alle Maßstäbe und Rechtsprechungen hinweg und Innovationen – neue Denkweisen, Ansätze und Techniken. Mehr als alles andere müssen alle handeln, auch wir Forschenden, indem wir unsere Ansätze und unser Wissen zur Verfügung stellen, um unseren Teil zur Rettung der Korallenriffe beizutragen."
Strategiepapier soll Zukunft der Korallenriffe sichern
Das Stratgiepapier wurde von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den USA, Afrika, Europa, dem Nahen Osten und Australien unter der Schirmherrschaft der International Coral Reef Society verfasst. Deren Aufgabe ist es, den Erwerb und die Verbreitung von wissenschaftlichen Erkenntnissen zu fördern, um die Zukunft der Korallenriffe zu sichern. Dies gilt auch für relevante politische Rahmenwerke und Entscheidungsprozesse. Das Strategiepapier, das im Rahmen des 14. Internationalen Korallenriff-Symposium veröffentlicht wird, ist das umfassendste in der Geschichte der International Coral Reef Society.